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Die Gezeiten



Als Ebbe bezeichnet man den Zeitraum zwischen Hoch- und Niedrigwasser ( = ablaufendes Wasser), als Flut den Zeitraum zwischen Niedrigwasser und Hochwasser ( = auflaufendes Wasser). An jedem Tag gibt es zweimal Hochwasser und zweimal Niedrigwasser. Warum ist das so?

Die Gezeiten haben hauptsächlich mit den Gravitationskräften des Mondes zu tun. Dies erkennt man bereits daran, dass sich die täglichen Hoch- und Tiefstände, ebenso wie der Mond, von einem Tag zum nächsten um 50 Minuten verspäten. Anders ausgedrückt, der Mond benötigt einen Zeitraum von 24 Stunden und 50 Minuten, um an einen Punkt auf seiner Umlaufbahn um die Erde zurückzukehren. Eine Tide, also die Zeitspanne zwischen zwei Phasen von Hoch- bzw. Niedrigwasser, dauert jeweils 12 Stunden und 25 Minuten. Somit findet an den Küsten etwa alle 6 Stunden ein Wechsel zwischen Ebbe und Flut statt.

Aber auch die um ein Vielfaches größere Sonne, die jedoch 390 mal so weit entfernt ist, hat Einfluß auf die Gezeiten. Bei Neumond und Vollmond stehen Erde, Mond und Sonne in einer Linie. Die Gezeiten sind in dieser Konstellation besonders ausgeprägt (Springtiden). Hingegen beim ersten und letzten Mondviertel, bei dem der Mond quer zur Sonne steht, sind Ebbe und Flut am schwächsten (Nipptiden). Die Gravitationskraft der Sonne hebt dann die des Mondes teilweise auf.

  Zur Veranschaulichung der Gezeitenkräfte, aus:
Das Fischer Lexikon - Geophysik, Hrsg.: J. Bartels, G. Angenheister, 1969, Frankfurt

Abbildung modifiziert.


Die obige Darstellung zeigt die Verteilung der Gezeitenkräfte des Mondes längs eines Erdumfangs (zum besseren Verständnis wird zunächst eine vollständig wasserbedeckte Erde angenommen). Der längste Pfeil bedeutet, der Mond steht genau oben oder unten und die Gezeitenkräfte sind am größten. Der kürzeste Pfeil ist dort, wo der Mond gerade auf- oder untergeht, die Gezeitenkräfte sind am geringsten. Dort, wo der Mond der Erde am nächsten ist, wird durch die Gravitationskraft des Mondes das Wasser "angezogen", d.h. dort entsteht der größte Flutberg.

Warum aber gibt es genau auf der entgegengesetzten Seite der Erde ebenfalls einen Flutberg? Zu diesem Phänomen gibt es eine Reihe mehr oder weniger verständlicher Erklärungsversuche. Das nachfolgende Beispiel soll dies erklären.

  Zur Veranschaulichung der Gezeitenkräfte, aus:
Das Fischer Lexikon - Geophysik, Hrsg.: J. Bartels, G. Angenheister, 1969, Frankfurt

Abbildung modifiziert.


Angenommen an einer sehr, sehr langen Stange, die auf den Mond zu fällt, halten sich drei Raumfahrer fest, einer in der Mitte M und zwei jeweils an den Enden A und B. Aufgrund der Massenanziehung des Mondes wird die Stange immer schneller, je näher sie dem Mond kommt. Der Raumfahrer in der Mitte (M) fällt genau so schnell wie die Stange. Er würde deshalb gar keine Kraft spüren. Die beiden Raumfahrer an den Enden der Stange hingegen schon. A ist näher am Mond, wird also stärker angezogen als die ganze Stange. B dagegen ist weiter weg vom Mond, wird also schwächer angezogen. Wenn A und B die Stangenenden loslassen, werden sie sich allmählich von der Stange entfernen. So verhält es sich auch mit den Flutbergen. Position A ist dem Mond unmittelbar zugewandt, Position B befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite. Somit erklärt sich auch der zweite Flutberg.

Die von Osten nach Westen laufende Flutwelle wird, entgegen dem Beispiel einer vollständig wasserbedeckten Erde, durch unterschiedliche Meerestiefen, durch die Verteilung der Landmassen und durch die Morphologie der Küstenregionen beeinflußt. Dies bewirkt, dass der Tidenhub an den Küsten recht unterschiedlich ist. Während der Tidenhub in der Ostsee nur wenig Zentimeter beträgt, sind es bei St. Malo (Cherbourg, Frankreich) 12 m und in der Bay of Fundy, an der kanadischen Küste, 14 m, bei Springtide sogar 21 m, der höchste gemessene Tidenhub auf der Erde!
Dort, wo spitzwinklig dreieckige Buchten mit allmählich ansteigendem Boden das Land gliedern, ist die Hubhöhe besonders groß.

Nicht nur das Wasser auf der Erde wird von den Gezeitenkräften beeinflußt, sondern natürlich auch alles andere wie Luft oder Gesteine. Die Gezeitenkräfte auf das "Luftmeer" sind jedoch zu vernachlässigen. Man hat berechnet, dass lediglich ein Tausendstel des Wettereinflusses auf die Gezeitenkräfte zurückzuführen ist.

Auch ist für die langsam abnehmende Drehgeschwindigkeit der Erde die Gezeitenreibung verantwortlich.
Die Berechnungen ergeben pro 120.000 Jahre eine Abnahme der Drehgeschwindigkeit um eine Sekunde. Das scheint zunächst sehr wenig, rechnet man jedoch in geologischen Zeiträumen, z.B. vom Beginn des Kambriums bis heute, so macht der Unterschied ca. 1 Stunde und 20 Minuten aus. Das heißt im Kambrium waren die Tage kürzer oder anders ausgedrückt, die Welt im Kambrium drehte sich schneller.
Umgekehrt hat natürlich die große Erde ebenfalls Einfluß auf den kleinen Mond, d.h. auch hier herrscht Gezeitenreibung. Dies scheint der Grund dafür zu sein, daß der Mond im Laufe der Milliarden Jahre von der Erde bis zum Stillstand gebremst wurde. Deshalb sehen wir immer die gleiche Seite des Mondes.


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M.Wipki